Tumultartige Szenen im und vorm Zwickauer Kreistag: So provozierten die „Freien Sachsen“
Die Sachsenlandhalle Glauchau soll im Notfall als Asylunterkunft genutzt werden. Dort fand auch die Kreistagssitzung statt. 700 Menschen folgten dabei einem Aufruf der rechtsextremistischen „Freien Sachsen“.
Man kann den Jungen vorn am Mikrofon aus den hinteren Reihen nicht sehen. Er ist aber gut zu hören. Die Kinderstimme verrät, der Junge ist nicht älter als 12 oder 13. Er berichtet von „einem Haufen Ausländern“, der seinen Bruder vor dem Pennymarkt bedroht haben soll. Mädchen, blauäugig und blond, könnten nicht mehr allein auf die Straße. Eltern wüssten nicht mehr, ob sie ihre Kinder rauslassen dürfen.
Klingt wie auswendig gelernt, aber das Kind hat das wirklich gesagt. Die Menge johlt. Irgendwo ein Plakat mit der Aufschrift: „Wir wollen kein Asylantenheim!“ Im Publikum auch ein älterer Mann in grünem Shirt. Auf dem steht: „#sogehtsächsisch“. So heißt die bekannte Standortkampagne des Freistaates Sachsen. Kann man sich kaum ausdenken.
700 Leute auf dem Vorplatz
Glauchau am Mittwoch dieser Woche. In der Sachsenlandhalle tagt gerade der Zwickauer Kreistag, und weil es diesmal auch darum geht, die Sachsenlandhalle eventuell in eine Asylbewerberunterkunft umzufunktionieren, haben die rechtsextremen „Freien Sachsen“ zu einer Kundgebung aufgerufen. Jetzt stehen 700 Leute auf dem Vorplatz und hören auch dem bekannten Neonazi Stefan Hartung aus Aue zu. Der ruft: „Wenn ich an manchen Tageszeiten durch meine Heimatstadt fahre, da musst du wirklich schon die Augen aufhalten, dass du irgendwo am Straßenrand mal noch einen Deutschen zu Gesicht bekommst.“
Das ist Humbug. Aber die Aussage erfüllt ihren Zweck. Die Menge wird immer aufgebrachter. Es ist klar, was der Rechtsextremist will. Die Menge soll in die Sachsenlandhalle, den Kreistag kapern. „Klopft mal an. Fragt mal, ob Ihr reindürft und seid nicht zu sanft“, provoziert er.
Im Saal wird bereits heftig diskutiert. Das Landratsamt hatte vorher noch einmal informiert, die Halle im Notfall als Unterkunft für 168 Geflüchtete zu nutzen, falls die Flüchtlingszahlen 2024 überproportional steigen und die Kapazitäten dann nicht mehr reichen würden. Landrat Carsten Michaelis (CDU) verteidigt den Plan: Er werde nicht zulassen, dass Flüchtlinge auf der Straße leben müssten, sagte er sinngemäß. Aber er gibt sich auch Mühe, dem Thema etwas an Bedeutung zu nehmen: „Ich gehe davon aus, dass wir die Halle nicht brauchen.“
Inzwischen gibt es auch „besorgte Großmütter“
Der Besänftigungsversuch misslingt. Natürlich holt ein AfD-Kreisrat zum großen Schlag aus. „Wir wollen das nicht mehr. Die Leute wollen es nicht mehr. Die Leute glauben es nicht mehr“, ruft Kreisrat und Immobilienmakler Sven Itzek in den Saal. Die Linken-Kreisrätin Ute Brückner antwortet: „Herr Itzek hat doch genug Immobilien. Soll er doch eine davon zur Verfügung stellen.“ Gelächter. Tatsächlich ist die Sachsenlandhalle im Besitz des Landkreises als Standort für eine Flüchtlingsunterkunft umstritten. Aber laut Landrat hätte es von keiner der 33 Kommunen ein Angebot gegeben. Kreisrat Lothar Ungerer (CDU) bringt dann die Idee eines Container-Dorfes ins Spiel, die nun geprüft werden soll.
Der Lärmpegel im Saal klettert nach oben. „Halt die Klappe“, ruft ein Zuschauer dem Landrat zu. Die Behörde hatte 100 Besucherstühle aufgestellt. Alle werden gebraucht. Draußen vor dem Saal stehen weitere Menschen, die vorher auf der Demonstration waren. Die Stimmung bei der Einwohnerfragestunde ist feindselig. Ein Zwischenruf: „Eure Tage sind gezählt. Genießt die letzten Stunden.“ Eine alte Frau meldet sich als „besorgte Urgroßmutter“ zu Wort und fragt, ob man nun in den Kindergärten eine verfrühte Sexualisierung befürchten müsse. Es gab auch einige wenige sachliche Fragen, zum Beispiel, ob bereits ein Sicherheitskonzept vorliege. Landrat Michaelis hatte wenige Antworten parat. So kritisierte Kreisrätin Dorothee Obst (Freie Wähler): „Es ist ein Unding, die Fragen von Einwohnerinnen und Einwohnern nicht zu beantworten.“
Inzwischen drängten die Demo-Teilnehmer heran. Einige wollten die Türen eindrücken. Die Security alarmierte die Polizei. So wurde ein Eindringen verhindert. „Es war eine bedrohliche Situation“, sagt Ina Klemm von der landkreiseigenen Tourismus- und Sport GmbH, die das Hausrecht ausübte.